Tag 5: Hotel Rhätia, St. Antönien - Berggasthaus Gemsli, Schlappin

 

Erleichterung und Weitblick

 

Wenn nach einem Hammertag ein weiterer Hammertag auf dem Programm steht, geht das beim Wandern ordentlich in die Beine. Wie gut, dass nicht alles so kommt, wie es zunächst aussieht.

 

Zugegeben: Der gestrige Tag, so schön er auch war, steckt den meisten in den Knochen. Umso mehr begeistert am Morgen jene Idee, die Senior Sepp gestern beim Tretti-Rollern ereilte: Die erste Strecke über Teer und Asphalt müsste doch mit dem Bus zurückzulegen sein. Ist sie nicht. Aber mit dem Taxi.

 

Als ein Sprinter die Wandergruppe die ersten 500 Höhenmeter bis zum Einstieg ins Gafiatal bringt, ist allen - wirklich allen - die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Wie schön, die Straße, sie ist nicht stark befahren, nicht laufen zu müssen.

 

Umso mehr amüsiert die Wanderer eine Kuh, die ihnen aus einem Viehanhänger, der voraus fährt, stetig neugierig zublinzelt und die Zunge raus streckt. Des Rätsels Lösung: Exakt dort, wo die Wanderung beginnt, startet an jenem Morgen des längsten Tages im Jahr der Viehauftrieb. Nach und nach kommen 200 Rindviecher auf eine Weide unterhalb der steilen Berge. Die Bauern, welche die Tiere hinauf karren, genießen den anbrechenden Tag mit einem deftigen Frühstück. Auch eine Flasche Klarer steht auf dem Tisch.

 

Das Rauschen eines Gebirgsbachs, vereinzelt stehende Walserhäuser und Blicke in eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch begleiten die Wanderer - die zunehmend ins Schwitzen geraten. Der Weg wird schmaler und steiler. Hinauf über eine nahezu senkrechte Stufe führt er zum Rätschenjoch auf 2.602 Meter über NN. Trinkpausen alle 200 Höhenmeter, das entspricht etwa jeder halben Stunde, sind obligatorisch. Ein unendliches Schneefeld schließlich führt die Gruppe bis kurz vor ihr Ziel.

 

Noch begrenzt der Sattel den Horizont, dann aber eröffnet der Blick dahinter ein Panorama weit über die Graubündener Bergwelt hinaus. Sogar die Silvretta ist zu sehen samt dem Piz Buin, den die Gruppe vor ein paar Jahren erklommen hat. Aber auch die unglaublich schöne und schroffe Sulzfluh, die gestern noch viele aus der Gruppe unter den Sohlen hatten.

 

Der Aufenthalt auf dem Rätschenjoch kommt gerade recht. Butterbrote werden ausgepackt, Nüsse und Riegel. Wasser, nicht wie her damit. Und dann eine dreiviertel Stunde: Gespräche werden leiser, bis sie bald vollkommen zur Ruhe kommen, Augen schließen sich - was angesichts der Aussicht kaum vorstellbar ist. Aber ein Nickerchen in der Sonne muss einfach sein. Schließlich steht noch ein Abstieg von 1.000 Höhen Metern bevor.

 

Am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab. Auch heute ist von einem Gewitter nichts zu sehen. Dabei bräuchte die Region dringend Regen: Die Wiesen und Almen sind trocken, manche Bäche nur noch an ihren mit Steinen gefüllten Läufen zu erkennen.

 

Es geht weiter. „Das dauert“, sagt Susanne, die im Gebirge eher so tut, als sei sie Flachland, so fit ist sie, „bis alle Aggregate wieder hochgefahren sind nach dieser Pause.“ Doch schnell kommen alle wieder in die Gänge.

 

Zuerst geht es ein bisschen auf und ab. Doch dann folgt der Wanderpfad der Schaf-Calanda, also jenem Gebiet, wo im Sommer die Schafe weiden. Es sieht ein wenig trostlos aus, befindet sich doch hier im Winter das Skigebiet von Klosters. Viele Skigebiete strahlen ohne Schnee nicht so wie im Winter.

 

Über die Schaffürggli ist bald das Zügenhüttli erreicht. Nicht nur diese Namen, auch die Beschaffenheit des Weges macht klar, wofür die Schweiz auch steht: jede Menge Schotter.

 

Es geht steil bergab, und die ohnehin geforderten Muskeln müssen sich über Felsenhaufen hinwegsetzen. Zum Ausgleich verwöhnt der Blick in die Berge. Dann noch ein Abstieg durch einen Wald, und der winzige Ort Schlappin ist erreicht.

 

Der Berggasthof Gemsli war schon von oben zu sehen, verbunden mit dem imaginären Bier, das es gleich geben soll.

Tatsächlich serviert Wirt Tobias Jakel zischende Getränke, aber auch Kaffee und Kuchen.

 

Und er macht Appetit auf das Abendessen in der gemütlichen Stube mit Hüttenflair. Es gibt Salat und Suppe, Schweinebraten aus örtlicher Zucht und ein Küchli zum Dessert. Dazu viel zu erzählen.

 

Vielleicht auch über Rudi Wötzel, dem die Unterkunft gehört. Wer das ist? Rudi Wötzel hat 2007 das Buch geschrieben „Über die Berge zu mir selbst“. Darin beschreibt er seinen Werdegang vom Banker in Frankfurt zum Bergmensch, der aus seinem alten Leben aussteigt - begünstigt durch eine Wanderung längs über die Alpen.

 

Leider ist er heute Abend nicht im Gemsli. Der Abend und das Essen werden aber trotzdem schön.

 

Schließlich ist es der letzte Abend der Wanderung auf dem Großen Walserweg. Bis morgen.

 

Gehzeit: 8 Stunden

Auf-/Abstieg: 1.300/1.050 m

Länge: 17 km

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