Wanderung von Bad Hindelang nach Hinterstein

Sonnenschein in Bad Hindelang. Es ist 12.30 Uhr am Treffpunkt, dem Bauernmarkt, wo Autos ohne Gebühr parken dürfen. In einer halben Stunde soll die Tour beginnen: „Der Grenzgänger“ heißt sie und ist eine anspruchsvolle Hüttenwanderung, welche die Bergschule Oase Alpin aus Oberstdorf im nächsten Jahr ins Programm nehmen will.

Und wir – wir sind die Versuchsgruppe. „Wenn Ihr sagt, die Tour ist gut, dann bieten wir sie ab 2021 an“, hatte Thomas Dempfle, Chef von Oase Alpin, im Vorfeld gesagt. Wir sind also eine Gruppe mit Verantwortung. Oha.

Wie auf einen Schlaf trudeln die Teilnehmer ein. Wir, das sind in diesem Fall fünf Wanderinnen aus Schöngau, Mainz und Köln, ich als Wanderer aus der Nähe von Stuttgart, und Mathias Klebaur, unser Tourguide.

„Ich bin hier aufgewachsen“, erklärt der 53-Jährige, „ich kenne mich hier ganz gut aus.“ Und führt uns zunächst durch Bad Hindelang, das auf 820 Meter über NN liegt. Er erklärt, dass die „Drei-Kugel-Apotheke“ einst dem Angriff der Franzosen standhielt, obwohl die drei Kugeln – und damit ihre Namen abbekam.

Doch es geht weiter, zunächst den Bärenweg hinauf. Wir bewegen uns im steten Auf und Ab immer im Höhenniveau zwischen 900 und 1.000 Meter Seehöhe. Der Weg führt durch Mischwald, durch den immer wieder Bäche in Tals rauschen. Brücken führen über die Gischt.

Corona macht erforderlich, einen Mindestabstand einzuhalten. Hier an der frischen Luft ist es nicht schwierig, dem Virus zu trotzen.

Dann geht es links ab, schon von Ferne ist der Schleierfall zu hören – und dann zu sehen: Der Wasserfall des Ehlesbachs gehört zu den hohen, auf jeden Fall aber beeindruckenden Wasserfällen Deutschlands und stürzt aus etwa 35 Metern in einen tiefen Gumpen.

Nur wenige Kilometer weiter schließlich, das Ziel des Tages ist fast erreicht, führt der Bärenweg, wie er inzwischen heißt, unmittelbar am Zipfelsfall vorbei. Er fällt breit und unüberhörbar aus etwa derselben Höhe wie der Schleierfall hinab. Das Fotomotiv liegt so dicht am Bad Hindelanger Ortsteil Hinterstein, dass viele Urlauber extra für ein Erinnerungsfoto hierherkommen.

Die paar Schritte bis zum Bergsteiger-Hotel Grüner Hut, unserer heutigen Herberge, sind schnell gegangen (siehe Übernachtungstipp unten). Hier gelten sofort wieder Abstandsregeln und Mund-Nase-Maskenpflicht. Trotzdem zischt das Bier auf der Terrasse.

Alle freuen sich auf das wohlverdiente Abendessen. Einige können dem Kuchen vorher nicht widerstehen. Der Tenor der Gespräche ist eindeutig: Die acht Kilometer waren eine prima Einstimmung auf das, was noch kommt. Der Auftakt ist gelungen.

Unser Blick fällt hier auf die Hintere Dorfkapelle, die St. Antonius gewidmet ist. Das Kirchlein aus dem 16. Jahrhundert zu besuchen lohnt sich: Der hochbarocke Altar in dem ansonsten schlichten Innenraum überrascht und ist sehenswert.

Doch erst heißt es einzuchecken in die sauberen Mehrbettzimmer. Auch hier wird Abstand gewahrt, und die Unterkunft ist trotz der Corona-Auflagen sehr angenehm.

Nach dem Abendessen soll es noch in das hiesige Kutschenmuseum gehen. Mathias Klebaur weiß: „Das ist sehr skurril.“ Er muss es wissen, er ist von hier. Lassen wir uns überraschen (siehe unten).

Besuch im Kutschenmuseum

Diese Überraschung ist gelungen. Kutschenmuseum? Was wäre da zu erwarten? Kutschen, ein paar Pferde, Räder, Figuren in Trachten. Langweilig. Also, lasst uns hingehen.

Dann, am Ende des Tales, wo schon nichts mehr zu erwarten ist, stehen auf einmal röhrende Hirsche und Pferde aus Metall in der Wiese, eine Art Krippe mit Christus, zwei Pferden und einem Dackel. Das Haus daneben indes platzt schier aus allen Nähten. Die Sammlung und wie sie angeordnet ist, geht zurück auf die Gedankenwelt ihres Schöpfers Martin Weber. Der Meister des morbiden Charmes wurde 1962 in Hinterstein geboren. Mehrere Jahre hat er an dem Museum gearbeitet und ein Kunstwerk erschaffen, das weltweit einmalig sein dürfte.

In und um das Anwesen gruppieren sich Figuren, die Erinnerungen an Psycho- oder Horrorfilme aufsteigen lassen, eine krude Mischung aus Kruzifixen, ausgestopften Tieren, Figuren, Schaufensterpuppen und Krimskrams – ja, und auch Kutschen. Die Häuser auf dem Museum sind allesamt offen und begehbar, Eintritt frei. Drinnen eröffnet sich je nach Thema, das kaum in Worte zu fassen ist, eine fremde Welt, die zarten Gemütern die Haare zu Berge stehen lassen.

Kurz: Dieses Gruselkabinett sollte sich niemand entgehen lassen.

Übernachtungstipp: Bersteigerhotel Grüner Hut

Das Bergsteigerhotel Grüner Hut bezeichnet sich selbst als "Treffpunkt am Dorfplatz in Hinterstein". Tatsächlich richtet es sich auf die Bedürfnisse von Wanderern und Bergsteigern aus, die hier in dem entlegenen Ostrachtal ein ruhiges Plätzchen suchen.

Blickfang in dem modern renovierten Gebäude ist ein Ziehbrunnen, der direkt vor der Rezeption wie ein Schlund die Blicke auf sich zieht. Er ist bei den Abrissarbeiten des vorigen Hauses entdeckt worden und soll aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammen. Damals wurde er von Hand in die Tiefe gemauert - in12,50 Metern steht der Grundwaserspiegel. Keine Sorge: Der Brunnen ist mit begehbarem Glas abgedeckt.

Das Altholz ist beim Abriss sauber gertennt und, soweit möglich, wieder eingesetzt worden.

Die Küche serviert regionale Produkte und unterstützt die heimischen Lieferanten. So stamt das Bier ausschließlich von Brauern aus der Umgebung.

Das Hotel hat 53 Betten, sieben Doppel- und ein Familienzimmer, vier Mehrbettzimmer und eine Freienwohnung.

Text und Fotos: Claus-Georg Petri

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