Wanderung vom Bergsteigerhotel Grüner Hut zur Landsberger Hütte

Tag 2

Kurz vor sechs, Kuhglocken bimmeln durch mein Zimmer. Hört sich jedenfalls so an: Die Bauern aus Hinterstein treiben ihre Rindviecher über die nahe und bis gerade stille Dorfstraße auf die Weide. Bei jedem Schritt läuten die Schellen, wie die geschmiedeten Schmuckstücke am Kuhhals tatsächlich heißen. Kuhglocken hingegen sind gegossen und klingen heller.

Viel schlimmer als der als romantisch einzustufende Wecker jedoch ist der Blick in den Himmel: Dort türmen sich dunkle Wolken, und um deren Sinn zu unterstreichen, fängt es kurz drauf an zu regnen. Ein Zustand, der sich den ganzen Tag lang nicht so recht ändern mag.

Da kommt das Frühstück im Bergsteigerhotel Grüner Hut gerade recht: Kaffee und frische Brötchen wecken die Lebensgeister. Der Tag kann kommen.

Er beginnt in einem Linienbus, der direkt am Hotel hält und uns um 8.15 Uhr ein paar Kilometer ins Ostrachtal bringt. Auele heißt die Haltestelle auf rund 1.000 Meter über NN, sie ist umgeben von wildromantischen Bergen, dunklen Wäldern, einer Schlucht und reißenden Bächen.

Also, Rucksack auf und los. Der Weg zeigt gleich, was er uns abverlangt und zieht sich steil bergauf. An lichten Stellen tropft es, das Wetter meint es nicht gut mit uns. Auf einer Hochalm ziehen wir regendichte Klamotten an, um nicht zu durchnässen. Bunte Blumen im tiefen Grün der Wiesen machen den Weg angenehmer.

Noch ein kurzer Anstieg, und wir stehen oberhalb des Schrecksees, der auf 1.813 Meter Seehöhe Ruhe verströmt. Ein Eiland ragt wie eine Schatzinsel aus dem dunklen Wasser, Blesshühner und Fische tummeln sich davor. Kurze Pause mit Brotzeit ist angesagt. Petrus hat ein Einsehen und schließt für eine Weile die Wolkenschleusen.

Nach kurzem Anstieg ist der Kirchendachsattel auf 1.927 Meter über NN erreicht. Gegenüber, auf Tiroler Seite, ist das Kastenjoch zu erkennen auf 1.865 Meter Seehöhe zu sehen. Doch bis zu diesem Etappenziel steht uns noch ein Fußmarsch von mindestens zwei Stunden bevor.

Ein Klacks? Schon. Es gilt allerdings jede Menge Schneefelder zu überqueren. Bergführer Mathias spurt, dass der Schnee spritzt, wir folgen im Gänsemarsch. Alles geht gut. Sogar bei den wenigen Klettereien und auf den matschigen Pfaden, die uns ab hier den Weg weisen.

Immer wieder bläst eiskalter Wind, Regen peitscht für ein paar Minuten, dann wird es wärmer. Der Kampf am Himmel zwischen Wolken und Sonne ist noch nicht entschieden. Schafe begleiten uns.

„Oh, nein.“ Dieser Aufschrei kam von Nicole, einer Wanderin aus Mainz. Die Sohle ihrer Wanderschuhe haben sich abgelöst und hängen nur noch aus Gewohnheit am Schuh. Kurzerhand zaubert Bergführer Mathias Klebeband und ein Klett-Zurrgurt aus den Tiefen seines Rucksacks. Das hält wenigstens bis zu Hütte.

Irgendwann stehen wir auf dem Kastenjoch. Unten ist schon unser Ziel zu erkennen: die Landsberger Hütte. Vor unseren geistigen Augen bauen sich Kuchen und Kaffee auf, Bier strömt in Gläser, serviert auf der sonnendurchfluteten Terrasse.

„Welchen Berg wollt ihr noch machen?“, lässt Bergführer Mathias unsere Träume platzen. Zu Auswahl stehen Kälbelespitze (2.129 m) und Rote Spitze (2.130 m). Bei Letzterer ist die Namensgebung nicht ganz nachzuvollziehen, hieße der imposante Berg doch besser Grüne Spitze – für sie entscheidet sich die Gruppe. Nur Nicole schlägt sich auf ihren sich hoch auflösenden Wanderschuhen schon jetzt zur Landsberger Hütte durch - ud erfährt dort erstklassige Hilfe (siehe Extratour: Hilfe am Schuh).

Die anderen Wanderer lassen ihren Rucksack im nassen Gras liegen und steigen auf (siehe Extratour zur Roten Spitze).

Die letzten 20 Minuten dann sind ein Kampf mit dem Schlamm und rutschigen Felsen. Doch dann ist sie erreicht, die Landsberger Hütte. Nach 16 Kilometern und 1.300 Höhenmetern werden Träume wahr von Kaffee und Kuchen, Flädlesuppe und zischendem Bier. Für einen Moment sogar mit ein wenig Sonne.

Extratour zur Roten Spitze

Ohne Rucksack steigt es sich wie von selbst. Fast: Jeder Schritt ist ein Kampf mit Schlamm und Schafscheiße. Grasbüschel bilden trittfeste Inseln, begehrt auf dem Weg zum Gipfelkreuz.

Gut zwei Drittel schaffen die Wanderer in wenigen Minuten. Dann schlägt das Wetter wieder um Regen, vor allem aber Nebel: Der Ausblick aus der Adlerperspektive auf 2.130 Meter hinunter ins Tannheimer Tal wäre sicher super gewesen. So aber drehen die Bergsteiger im immer dichter werdenden Nebel lieber um. Was zählt, ist die Sicherheit.

Geschafft hätten sie’s. Und das zählt. Was bleibt, ist die vollgesaute Berghose. Was soll's?

Extratour: Hilfe am Schuh

Nicole aus Mainz hatte ein Problem: Die Sohlen ihrer Wanderschuhe lösten sich ab und hielten nur noch aus Gewohnheit am Schuh. Schlecht, so mitten in der Mehrtageswanderung.

Auf der Landsberger Hütte jedoch bekam sie Hife: Zuerste suchte Chef Reinhard Frühholz nach ausrangierten Bergschuhen. Aber die wollten Nicole nicht so recht passen.

Da hatte Fonsi, der Hausel, also die gute Seele der Hütte, eine Idee: Kurzerhand schnappte er sich sie lädierten, sohlenlockeren Wanderstiefel - und verschwand in seiner Werkstatt.

Kurz drauf war er wieder da: "Hier sind sie wieder, die Sohlen halten." Sein Trick: Er hatte die Laufflächen mit Spaxschrauben fixiert.

Nun bleibt abzuwarten, wie lange das hält. Der Wirt des Prinz-Luitpold-Hauses, unserer nächste Station, hat unterdessen signalisiert, er habe noch passende Schuhe.

Schon erstaunlich, welche Kreise kaputte Schuhe so ziehen. Oh Sohle mio.

Text und Fotos: Claus-Georg Petri

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