Text und Fotos: Claus-Georg Petri
Regen peitscht auf die Bushaltestelle vorm Hotel Alte Krone in Mittelberg im Kleinwalsertal. Nicht gerade das Wetter, das sich die Wandergruppe für den heutigen Tag gewünscht hat - es kann nur besser werden. Das jedenfalls verspricht Bergfex, die Vorhersage gilt als zuverlässig. Mal sehen. Immerhin haben einige Optimisten ihre kurze Berghose angezogen.
Auf dem Programm steht eine alpine Tour zum Hohen Ifen. Dieser Name geht vermutlich auf den uralten Begriff "Nyfer" zurück, was so viel wie Abbruchkante bedeutet. Könnte passen: Senkrechte Felswände, ein schräg nach Süden abfallendes Gipfelplateau und der Gottesacker zu Füßen verleihen dem Berg seine markante Form.
Sehr bequem: Den ersten Aufstieg verkürzt die Ifenbahn, welche die Wanderer immerhin bis zur Mittestation bringt - wieder git die Zimmerkarte alias Allgäu-Walser-Card als Ticket. Im Sommer fährt die Gondelbahn nicht weiter hinauf.
Am Himmel dräuen dunkle Wolken. Weiter oder schon Pause einlegen? Weiter. Nach fünf Minuten packen alle ihre Regenklamotten aus und hüllen den Rucksack in die Pellerine. Wenigstens geben die Regenschirme im Grau muntere gelbe, blaue und rote Tupfen ab. Sähe beinahe nett aus, käme der Regen nicht waagerecht. Steil geht es bergauf, und unter den Regenjacken fangen die Wanderer an zu dampfen.
"Bei gutem Wetter kann jeder", versucht Thomas Dempfle, Chef der Bergschule Oase Alpin aus Oberstorf, die Laune zu heben - das braucht er aber gar nicht. Selbst die Kurzbehosten nehmen das Wetter, wie es kommt. Ist eben so. Schwarze Alpensalamander indes scheinen Regen und Kühle zu lieben, sie grüßen vom Wegesrand.
Über ein Altschneefeld muss der Bergführer mit dem Pickel Tritte spuren, anders wäre das Risiko, in die Tiefe zu rutschen, zu groß. So kommen alle Wanderer langsam, aber sicher auf die andere Seite des Weiß. Wenn auch ein wenig verfroren.
Dort ist schon das nächste Ziel zu sehen: die im Sommer verwaiste Bergstation der Ifenbahn auf 1.577 Meter Seehöhe. Die Terrasse des Restaurants Tafel & Zunder ist dort, wo sich im Winter Skifahrer stärken, gähnend leer - aber windgeschützt.
Willkommener Ort für eine Pause. Tatsächlich ist es möglich, sich aufzuwärmen und Nüsschen oder Süßis zu knuspern: Die Sonne scheint ihren Kampf gegen das Grau zu gewinnen.
Das Gebäude steht auf dem Gottesackerplateau, das die steile Abbruchkante des Hohen Ifen begrenzt. Die riesige Karstlandschaft steht unter Naturschutz, ihr prägnantes, zerklüftetes Grau ist aber heute kaum zu erkennen. Dafür liegt noch zu viel Schnee.
Grund genug, die Route zu ändern. Zu viel Schnee und zu instabiles Wetter gestatten den Aufsteig auf den Hohen Ifen nicht. Den zum Hahnenköple aber durchaus. Der Gipfel auf 1.736 Meter Meereshöhe ist schnell erreicht. Ihn ziert ein erst 2023 errichtetes Kreuz in Form der drahtigen Alpen-Kreuzblume (alpina flexuosa). Ein Kunstwerk zu Ehren einer ausgestorbenen Blume.
Von hier ist das Gipfelkreuz des Hohen Ifen gut zu erkennen: zum Greifen nah, aber dennoch unerreichbar. Unter- statt Überschreitung. Dann eben beim nächsten Mal. Macht aber nichts, die Runde über den Gottesacker ist mindestens genauso interessant.
Seinen Namen verdankt das Gebiet der Sage nach einem geizigen Bauern, der hier in grauer Vorzeit einen reichen Hof betrieben hat. Als ihn ein Bettler um etwas zu essen bat, warf er ihm nur einen Stein hin: Er solle verschwinden. Daraufhin traf den Hof der Blitz, und alle Fruchtbarkeit verschwand - aus Gottes Acker wurder der Gottesacker.
Über den marschieren die Wanderer durch Schnee, meist im Gänsemarsch zum Rand des Plateaus: Die Tiefen, Löcher und Risse bleiben unter dem Weiß verborgen, das Risiko eines Fehltritts will Thomas Dempfle vermeiden.
Der Pfad mündet in einen Latschenwald, kurz oberhalb der Baumgrenze. Dort ist auf 1.600 Meter über NN eine erst 1998 endeckte Fundstelle markiert, an der schon vor 9.000 Jahren Menschen aus der Steinzeit im Sommer gelagert haben. Wo ließe sich eine Pause besser einlegen?
"Dies ist eine Kraftstelle", erklärt Thomas Dempfle bei einem Brötchen. Kraft haben hier schon einst Jäger getankt, die auf dem Gottesacker Hirsche erlegt haben, wie Funde belegen. Steinzeitmenschen im Kleinwalsertal - unerwartet.
Der Absteig endet bald drauf in Hirschegg-Wäldele: Im Alpenhotel Das Küren steht schnell Bier - und ein riesiges Stück Schokotorte - auf dem Tisch, dann kommt schon der Walserbus.
Im Hotel Alte Krone in Mittelberg läuft bereits die Sauna.
Gehzeit ca. 6 Stunden, Aufstieg 650 Höhenmeter, Abstieg 1000 Höhenmeter, Länge ca. 13 km