Tag 3
Wie beginnt ein schöner Tag in den Alpen? Mit Sonnenschein. Frühstück um 7.15 Uhr, dann nichts wie raus. Schnell haben wir die Rucksäcke aufgesetzt, los geht’s vom Landsberger Haus in Richtung Prinz-Luitpold-Haus. Die ersten Schilder am Jubiläumsweg weisen die Strecke mit viereinhalb Stunden aus. Das ist, wie sich im Laufe des Tages herausstellt, eher knapp bemessen.
Doch der Reihe nach. Zuerst führt ins Thia, wie unser Bergführer Mathias von Oase Alpin gern genannt wird, in Richtung Schrecksee. Den haben wir zwar schon einen Tag zuvor gesehen, da lag er aber im Nebel. Jetzt zeigt er sich in voller Schönheit.
Auf der Wanderung, die über eine Hochfläche verläuft, dominiert der Hochvogel die Aussicht. Wie eine Pyramide erhebt er sich auf 2.592 Meter über NN, außerdem verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Österreich über seinen Gipfel. Außerdem gilt der Grenzgänger-Weg als Strecke rund um diesen mächtigen Berg der Allgäuer Alpen.
Auf dem Weg begleiten uns immer wieder Pfiffe: Muntere Murmeltiere stoben über die Wiesen, um flugs in ihren Löchern zu verschwinden. Ein Stück weiter erheben sich zwei mächtige Greifvögel ins Blau des Himmels. Thia ist sich nicht sicher, ob es Steinadler oder Bartgeier sind. Noch ein paar Passagen weiter lugen Gämsen über Grate, um kurz drauf quer zu uns übers Gras zu flitzen. Die Alpen – ein Platz für Tiere.
Die Wanderung mausert sich unterwegs zur kleinen Kletterpartie. Immer wieder dienen sich Stahlseile an, die Schritte auf dem teils lockeren Untergrund zu sichern. An manchen Stellen zückt Thia sein Smartphone, um Schäden zu fotografieren: „Die Info, was hier kaputt ist, gebe ich gleich an die Verantwortlichen weiter.“ Hintergrund: Unser Bergführer ist involviert in das EU-Förderprogramm Grenzgänger-Weg (siehe Extratouren: Wege sicher machen).
Nach einer kurzen Mittagspause in warmer Sonne – welch Labsal gegenüber gestern – erreichen wir am Schnee- und Geröllfeld zur Bockkarscharte. Dieses Teilstück flößt uns schon von unten Respekt ein. Thia geht auf Nummer Sicher und übt mit uns im Schnee, wie wir uns stoppen können, falls wir einmal abrutschen: auf den Bauch drehen und Liegestütz-Haltung einnehmen. Klingt einfach, will aber einmal ausprobiert sein. Also: Rutschen, bis der Schnee spritzt.
Dann wird es Ernst: lange Hose an, Jacke und Handschuhe. Vor allem aber: Grödeln. Diese Tritthilfen mit Zacken an Gummibändern werden einfach unter die Bergschuhe geschnallt und vermitteln auf glattem Untergrund Sicherheit. Tatsächlich, heute sind sie gefragt, die drei Attribute des sicheren Bergwanderers: Schwindelfreiheit, Trittsicherheit und Kondition.
Der Schweiß steht allen auf der Stirn, als wir uns auf das Schneefeld wagen. Der Tag dauert mittlerweile schon deutlich länger als viereinhalb Stunden, und wir waren nicht gerade langsam unterwegs. Jeder von uns tritt die Spur ein wenig fester, erklimmt die Steile Schritt für Schritt. Ein Geröllfeld verspricht trügerische Erleichterung: „Tretet auf Felsen so groß wie möglich“, mahnt Thia, „die kippen nicht so leicht wie die Kleinen.“
Es geht voran, mühsam und schweißtreibend, dann aber sitzen wir endlich oben im Gras auf der Bockkarscharte in 2.164 Meter über NN. Und unten, zum Greifen nahe, steht das Prinz-Luitpold-Haus vor einer wahnsinnig gefalteten steinernen Wand – Geologen haben bei diesem Anblieck ihre Freude.
Das Schild oben verheißt einen Abstieg auf 1.846 Meter über NN in 45 Minuten. Das kommt hin. Und unterwegs werden die Träume vom kühlen Getränk auf der Sonnenterrasse immer greifbarer.
So wird aus den Alpen, dem Platz für Tiere ein Platz für Biere. Nach knapp acht Stunden.
Bergführer Mathias ist eingebunden in das EU-Förderprogramm Grenzgänger-Weg. Unterwegs zeigt er, welche Arbeit dabei geleistet wird. Um die 80 Kilometer lange Strecke zu pflegen und immer wieder instand zu setzen, fliegt ein Hubschrauber Material und Werkzeug, Stromkompressor und sogar eine Biwakschachtel in die Nähe der zu reparierenden Stellen. An manchen Stellen sind drei bis vier Mann bis zu drei Wochen damit beschäftigt, Stahlseile zu spannen und zu verankern, Löcher für deren Halter zu bohren, die dann mit Zweikomponentenkleber dauerhaft halten. Sie unterfüttern Wege, räumen lose Steine und Felsbrocken beiseite. Nach dem Winter gibt es immer wieder genug zu tun hier oben im Gebirge.
Wir erinnern uns: Die Sohlen der Bergschuhe von Wanderin Nicole hatten sich gestern gelöst. Bonsi, der Hausel von der Landsberger Hütte, hatte sie kurzerhand wieder angespaxt. Er hat gute Arbeit geleistet: Die Schuhe haben der anspruchsvollen Tour heute getrotzt und super gehalten. Besser geht’s nicht, danke für diese tolle und unkonventionelle Hilfe.
Text und Fotos: Claus-Georg Petri