Tag 2: Schröcken - Biberacher Hütte
Bad im Blütenmeer und viel mehr
Wandern allein ist nicht alles. Erst die Natur zu genießen macht eine Tour zum wahren Genuss. Selbst wenn ein Tag mal nicht nur angenehme Überraschungen parat hält.
Tief durchatmen. Die Luft an diesem Morgen ist so glasklar, dass sie die umgebenden Berge ein Stück näher heran zu rücken scheint. Denen will die Gruppe nun näher kommen. Hindurch also durch Schröcken, dann hinein in ein Tal.
Doch zunächst ein kurzer Halt an der Dorfkirche. Sie ist geschlossen. Auf dem Vorplatz findet Thomas Dempfle die richtigen Worte: „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich muss sehr oft an Axel denken.“
Der 72-Jährige war noch im vergangenen Jahr mit von der Partei bei der Tour und seit Jahren festes Mitglied der Gruppe. Doch plötzlich und unerwartet ist er Anfang des Jahres gestorben. „Ich bin mir sicher“, sagt der Tourguide, „er wäre gern bei uns gewesen und hätte diese Wanderung genossen.“
Einen Moment halten die Wanderer inne, gedenken, sind still. Aber dann schließlich machen sie sich auf zu erleben, was zu ihrer Tour einfach dazu gehört: die Schönheit der Natur.
Der Anblick in dem Tal, in das sie ihren Weg einschlagen, ist schier unbeschreiblich. Der Wanderpfad schlängelt sich an einem steilen Hang entlang, der fast bis hinauf zu den Bergspitzen reicht. Und er ist komplett bewachen von grünen Wiesen- und Weidenpflanzen, welche die unzähligen bunten Blumen, die dort in voller Pracht blühen, unerwartet aufwerten. Ein Bad im Blütenmeer, das sich erstreckt, so weit das Auge reicht.
Allmählich steigt der Weg an, kehrt um riesige Felsen, gewinnt an Höhe. Schließlich geht es steil bergauf, teilweise an Stahlseilen als Haltehilfe. Zwischenziel und gleichzeitig höchster Punkt des Tages ist der Hochbergsattel auf 2.145 Meter über NN. Doch so ganz ohne lässt sich dieser markante Punkt nicht erreichen.
Plötzlich kann eine Teilnehmerin nicht mehr weiter. Sie hat Probleme mit dem Kreislauf. Alle legen eine Pause ein, um abzuwarten, was nun geschehen muss. Doch auch die Zeit heilt in diesem Fall nicht, dafür ist sie zu kurz.
Thomas Dempfle trifft zusammen mit der Wanderin eine folgenschwere, aber unausweichliche Entscheidung: Ein Rettungs-Hubschrauber muss die Patientin ausfliegen ins nächste Krankenhaus. Wie gut, dass es Bergrettung auf solch hohem Niveau gibt. Die Gruppe ist in Gedanken bei der Wanderfreundin und wünscht schnelle und gute Besserung.
Erst nun steht der Hochbergsattel den Wanderern offen. Steil winden sich der Schottterweg über einige kleinere Schneefelder hinauf auf 2.145 Meter Meereshöhe. Pause oben im saftigen Gras, eine kleine Stärkung in Form von Studentenfutter, Müsliriegeln und Wasser. Erst dann geht es von dem Punkt, der Fürggele heißt, bergab.Ziel ist die Biberacher Hütte.
Das Schild an der Wegkreuzung weist die Strecke mit anderthalb Stunden aus. Ein wenig knapp gegriffen: gut zwei Stunden sind es schon, in denen die Gespräche unterwegs verstummen. Jeder hängt seinen Gedanken nach - an die jüngste Vergangenheit und den heutigen Tag.
Die Strecke führt direkt hinein in das Große Walsertal, von dem die Walser später das Kleinwalsertal besiedelt haben. Immens steile Hänge erinnern an die Lawinengefahr, die hier jeden Winter herrscht.
Doch dann ist die Biberacher Hütte hinter einer Alpe und einer weiteren Wegbiegung zu sehen - endlich. Noch eine guten halben Stunde, dann sitzen alle Wanderer auf der Terrasse der herrlich gelegenen Hütte und kippen ein erstes Bier. Das zischt unüberhörbar.
Gleich geht es zum Abendessen, und um 22 Uhr ist Hüttenruhe. Gut so, denn morgen geht es weiter auf dem Großen Walserweg.
Gehzeit: fünf Stunden
Auf-/Abstieg: 800/550 Hm
Länge: 11 km